Rassismus in den Medien

Vortrag im Rahmen der Veranstaltungsreihe «Rassismus in der Mitte der Gesellschaft»

17. JANUAR 2017, ZÜRICH, Zentrum Karl der Grosse

 

DREI BILDER

Ich möchte Sie gerne, meine Damen und Herren, mit drei Bildern aus meinem Berufsalltag bekannt machen, als Einstieg in unser Thema, und auch als Weiterführung.

Das erste Bild:

      Mittagessen in der Kantine des Radiostudios Basel, natürlich ist es ein Zufall, und es kommt auch nicht jeden Tag vor – aber da sitzen fünf Männer, alle mit waschechter Schweizer Abstammung, sie reden so über dies und das, und da stellt sich heraus: dass alle fünf verheiratet sind, Väter von ein bis drei Kindern, alle besitzen ein Auto, und sie besitzen ein Haus oder eine Wohnung. Fragt der eine am Tisch, etwas unvermittelt „Sagt mal, meint Ihr, dass wir fünf hier am Tisch in der Lage sind, die Vielfalt, also die Diversität der Schweizer Gesellschaft zu repräsentieren – wir hier, wir häuschenbesitzenden, gut verdienenden Mittelstandsfuzzis?“

Betretenes Schweigen.

Zweitens:

Meine Redaktion bei der wöchentlichen Sendekritik, es geht um eine Sendung zur politischen Rolle afroamerikanischer Musik in den USA, diskutiert wird die Sprechhaltung einer afroamerikanischen Expertin mit südafrikanischen Wurzeln und Wohnsitz Schweiz. Einige der anwesenden Redaktionsmitglieder stören sich daran, ich zitiere, „dass die Expertin mit einem etwas eigenartigen, amerikanisch angehauchten, manchmal ins Schweizerdeutsche kippenden Intonation gesprochen hat“. Wieder andere finden, gerade dies entspreche der heute auch in der Schweiz vorherrschenden Diversität.

Drittes Bild:

Wir stellen eine Diskussionsrunde zur MEI zusammen, wir haben: drei weisse Männer, alle bestens qualifiziert. Da sagt jemand „Wir sollten aber noch eine Frau haben, am besten eine mit Migrationshintergrund“. Es gibt kein Gelächter.

Drei Bilder, die natürlich weit weg sind vom Thema Rassismus, die aber vielleicht um so deutlicher aufzeigen, welche strukturellen, wahrnehmungs- und rollenbezogenen Probleme sich im Alltag einer ganz normalen Redaktion so auftun.


NEIN, WIR SIND KEINE RASSISTEN

Denn meine Redaktion ist nahezu idealtypisch zusammengesetzt. Fast alle sind Schweizer, so wie 84 Prozent aller Journalisten in der Schweiz Schweizer sind; in der Schweiz sind gerade mal 2 Prozent der Journalistinnen und Journalisten Juden oder Buddhisten, der Anteil der Muslimas ist gleich Null.

Darum gibt es eine bestimmte Perspektive, und das ist nun keineswegs die Perspektive der abschätzigen Berichterstattung über «andere», ganz im Gegenteil. Wir machen Sendungen zu Racial Profiling, zu Rassismus, wir thematisieren Sans Papiers, wir recherchieren zu Menschenhandel, zum Elend im Asylwesen, wir recherchieren zu strukturellen Diskriminierungen im Bildungssystem; und wir machen auch Sendungen zu Tabuthemen, etwa zur Praxis der Kindeswegnahmen bei afrikanischen Paaren, wir machen keinen Wohlfühljournalismus.

Und doch lehrt jeder Student, jede Studentin, dass wir in unseren Fragestellungen, in unseren Ansätzen, in unserer Methodik stets eine bestimmte Perspektive einnehmen; und die heisst, wenn es um die anderen geht, jener Drittel unserer Bevölkerung, die Menschen mit Migrationshintergrund: dass wir mit unseren präfigurierten, kulturell, biografisch geprägten, gefestigten Werthaltungen an diese Menschen herangehen. Nicht, dass wir dabei nicht bedeutende Übersetzungsleistungen vollbringen, nicht, dass wir uns nicht ins Schicksal etwa einer ausgebeuteten Sexsklavin, eines arbeitslosen, aber hochqualifizierten Flüchtlings aus Syrien hineindenken könnten. Wir können das, denn wir sind darin ausgebildet, wir sind professionell – wir sind Spurenleser, wir können empathisch sein, wir erkennen den Fremden, seine «Einzigartigkeit», wie JULIA KRISTEVA treffend sagt.

Aber:

Es macht einen Unterschied.

Weil wir Teil sind von dem, was gemeinhin in den Sozialwissenschaften als «Framing» bezeichnet wird, verstanden als die Setzung normativer und emotionaler, überwiegend unbewusst vermittelten Basisvorstellungen vom Menschen, der Gesellschaft und der politischen Aufgaben; wir sind Produzenten und Opfer dieses «Framing» zugleich.

Wir framen Geschichten, wir werden auch geframt.

Darüber müssen wir uns Rechenschaft geben, weil es im Journalismus nicht die Erzählung an sich gibt, sondern einzig divergiernde Positionen, aus denen heraus der ERZÄHLER oder die ERZÄHLERIN ihre Geschichte zum Besten gibt.

Vielleicht banal:

Aber es macht einen Unterschied, ob Sie eine Geschichte mit den Kategorisierungen und der Perspektive einer Mittelschichtssozialisation ohne Migrationserfahrung, ohne Diskriminierungserfahrung, ohne rassische oder soziale Ausschlusserfahrung erzählen; oder ob die Geschichte von jemandem erzählt wird, der oder die Migration am eigenen Leib erfahren hat, möglicherweise eine eigene Aufstiegserfahrung gemacht hat, erlebt hat, was es heisst, sich in einer Mehrheitsgesellschaft durchsetzen zu müssen, jemand der oder die weiss, wie es sich anfühlt, wenn man durchwegs bei Bewerbungen mit dem nicht so schweizerisch tönenden Namen durchfällt. Narration ist immer das Ergebnis derjenigen Diskursformationen, in denen man sich bewegt – nicht, weil die Fakten andere wären (ein rassistischer Anschlag, über den berichtet wird, hat eine klare Faktenseite), auch nicht, weil die strukturellen Gegebenheiten andere wären (die Ausschlussmechanismen bei der Arbeitssuche sind immer die selben), sondern weil Erzählen – und Journalismus ist Erzählen – immer eine bestimmte Haltung zu den Protagonisten mit sich bringt.

Ein Beispiel aus meiner Redaktion:

Wir brachten im Sommer 2014, als Reaktion auf die Abstimmung zur Masseneinwanderungsinitiative der SVP eine Sommerserie mit dem Titel „Hier mit dir“. Ziel war es zu zeigen, wie Paare, Ehepaare, Arbeitskollegen, Freunde, SportskollegInnen mit und ohne Migrationshintergrund miteinander arbeiten, leben, spielen, kommunizieren. Eine schöne Idee, die im Anspruch eine Amalgamisierung, die Diversifizierung der Gesellschaft aufzeigen wollte – nur, leider: ging manches schief. Denn es gab einen seltsamen, auf den ersten Blick, und bei aller Sympathie für den oder die „Fremde“ in der Paarung, einen stillschweigenden Konsens: dass es eine tonangebende, kulturell prägende, gewissermassen unverrückbaren «schweizerischen» Lebensstil gibt, mit dem der eben anders kulturell geprägte Partner sich mehr oder weniger gut arrangiert, dem sich der oder die zugewanderte Person mehr oder weniger unterordnet.

Eine Kollegin mit Migrationshintergrund, davon bin ich überzeugt, hätte diese Geschichten anders erzählt – nicht als eine Geschichte von hegemonialer Kultur, die auch in Beziehungen eine Rolle spielt; sondern sie hätte aus eigener Erfahrung berichten können, dass kulturelle Parameter eben gestaltbar sind, transformierbar, und dass die «Leitkultur» nur ein Produkt von politisch motivierten Reduktionisten à la SARRAZIN.

Anpassung als Leitmotiv – selbstkritisch muss ich sagen, ja: wir haben uns kulturalisierend positioniert, und ja, wir waren in der Frage nach der Anpassung oder der Integration, wie man auch sagen kann, zu wenig differenziert.

Nicht böse gemeint.

Aber vielleicht so, wie in den Worten von Tristan Brenn Chefredaktor TV bei SRF, der sagte, in Sendungen bei SRF gebe es immer wieder «Portraits von Migrantinnen und Migranten, die es in der Schweiz geschafft haben. Diese Portraits sind durchaus aus der Perspektive der Zuwanderer erzählt und begegnen diesen Menschen mit viel Sympathie.» Merke – es geht (a) um Portraits, will heissen: anders denn als «Gegenstände» von Berichten kommen die «anderen» nicht vor, und (b) sind das die Guten weil sie es «geschafft haben», und (c) sie sind «durchaus», also nicht ganz aus (d) der Perspektive der Migranten erzählt, was so viel heisst, dass man sich um einen Blick aus ihrer Position heraus bemüht hat, während es ganz allgemein (e) am wichtigsten zu sein scheint, dass man «diesen Menschen» (Fingerzeig?) mit «viel Sympathie» begegnet. Dieses letztere Attribut, verweist darauf, dass aus der medialen Perspektive der Mehrheitsgesellschaft, der Leitkultur, der Dominanzkultur oder wie auch immer, Sympathie gegeben, aber auch entzogen werden kann.

Aber mit dieser Sommerserie namens „Hier mit dir“ bewegen wir uns sozusagen im feinstofflichen Bereich.

Denn die Mehrzahl, unsere Wahrnehmung prägende Berichterstattung, sie sieht so aus:

«Asylgrüsel (19) belästigt im Zug sieben Frauen» - Migranten, die «anderen», sind meist Übeltäter.

Und wenn sie es nicht sind, dann sind sie Opfer – nicht zuletzt auch da, wo über rassistische Übergriffe berichtet wird; auch da sind die Stereotype stets die selben: die Menschen mit migrantischem Hintergrund sind Opfer:

BEISPIEL

«Bern, 23. Oktober 2016

Eine Berner Grosswäscherei hat einer langjährigen muslimischen Mitarbeiterin missbräuchlich gekündigt – so hat ein Einzelrichter an der Zivilabteilung des Regionalgerichts Bern-Mittelland im September entschieden. Aus religiösen Gründen erschien die Frau eines Tages mit dem Kopftuch bei der Arbeit und bot an, dieses jeden Tag zu waschen. Die Firma kündigte ihr mit der Begründung, wegen der Sicherheit und Hygiene sei es verboten, am Arbeitsplatz ein Kopftuch zu tragen. Das Kopftuch sei aber kein Kündigungsgrund, fand der Richter, die Entlassung sei missbräuchlich erfolgt.»

Anders – nur, um das anhand dieses Beispiels kurz zu zeigen – wäre der Fokus gewesen, wenn der Text so gelautet hätte:

«XY, langjährige Mitarbeiterin in einer Berner Grosswäscherei, hat ihren Arbeitgeber erfolgreich eingeklagt, auch dank der Unterstützung der Gewerkschaft XX. XY, die seit 12 Jahren in FF lebt, wehrte sich mit ihrer Klage dagegen, dass der Arbeitgeber VV ihr das Tragen eines schlichten Kopftuches verbot mit der Begründung, ein Kopftuch am Arbeitsplatz sei eine Gefahr für Sicherheit und Hygiene. Der Einzelrichter nun folgte diesem Argument nicht und gab XY recht; das Tragen des Kopftuchs sei Ausdruck einer unveräusserlichen persönlichen, religiösen Einstellung, die nicht begrenzt werden darf.»


DER WEISSE HEGEMON

In Deutschland, so die Schätzung der Politologin Ferda Ataman, hat nur jeder 50. Journalist einen Migrationshintergrund, während der Anteil der Migrantinnen und Migranten mehr als 20 Prozent beträgt; zur öffentlichen Kommunikation, schreibt Horst Pöttker, gehöre auch «eine angemesse Repräsentation von Menschen mit Migrationshintergrund am Personal hinter der Kamera, bei der Recherche oder am Redaktionssystem.

      In der Umfrage der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften vom vergangenen Jahr ergab sich, dass gerade mal 21 der 909 befragten Journalistinnen und Journalisten angaben, eine andere Muttersprache zu haben als die hierzulande üblichen. «Das ist nicht gut», schrieb PEER TEUWSEN in seinem Kommentar vergangenen Oktober zu dieser Studie und forderte, es sei höchste Zeit, «dass auch die Schweizer Medienhäuser ihre Redaktionen diverser besetzen».

Der weisse Hegemon in den Medien muss verschwinden.

Nur – warum eigentlich?

      MARK TERKESSIDIS hat in seinem Buch «Interkultur» klar Stellung bezogen dafür, dass Institutionen die gesamte Gesellschaft abbilden sollten; Institutionen sind, schreibt Therkessidis, mit dem Ziel einer «Evolution der Institutionen im Hinblick auf die neue Vielfalt der Gesellschaft» und er plädiert für eine «Kultur im Dazwischen». Diese Einsicht, dass die neue, heterogene, diverse, teilweise gar «hyperdiverse» Gesellschaft, in der wir leben, sich auch in den Institutionen abbilden muss, lässt sich ohne weiteres auf Medien übertragen – sofern man davon ausgeht, dass Medien im Sinne einer Vierten Gewalt im Staat und in der Gesellschaft die Rolle einer Institution einnehmen, und auch: einer Macht. Sie sind in der Lage, um es mit GIORGIO AGAMBEN zu sagen, «Dispositive» zu formulieren, Medien sind der Ort, an dem die Ökonomie der Aufmerksamkeit, wie es GEORG FRANK formuliert hat, verhandelt wird, jene knappe Ressource, die von allen begehrt wird, durchs Band und über alle Schichten hinweg. Aber Medien sind in diesem Sinne auch Orte, des «Manufacturing of Consent», sie sind «effiziente und mächtige ideologische Institutionen, die eine systemerhaltende propagandistische Funktion erfüllen, indem sie sich auf die Marktkräfte abstützen, Voraussetzungen internalisieren und Selbstzensur üben», wie EDWARD S. HERMAN und NOAM CHOMSKY in ihrer wegweisenden Studie zum amerikanischen Mediensystem bereits 1988 schrieben.  

Oder eben:

Medien «framen», und sie werden «geframt». Und damit sind Medien immer auch Instrumente zur Inklusion, oder zur Segregation.

Im Extremfall, bei Medien wie der Weltwoche, bei Breitbart, bei der Sun, ist das augenfällig. Aber es ist eben auch in der Mitte der medialen Landschaft der Fall, dort, wo wir den grossen Konsens vermuten, die weitläufigen Diskurse.

      Die Folgen sind für eine plurale Gesellschaft wie die schweizerische harsch und schmerzhaft. Auf den Punkt gebracht – wenn die Medien ihre diversifizierende (nicht integrierende) Funktion nicht ernst nehmen, verlieren sie einen Teil der Gesellschaft; und mit ihr verliert die Gesellschaft einen Teil derjenigen, die an der demokratischen Meinungsbildung teilnehmen sollten.

Aber wo sind sie denn alle - sind sie noch da, dort, wo wir die Medien vermuten?

Gemäss dem Jahrbuch Qualität der Medien 2016 gehören die «News-Deprivierten» mittlerweile zur grössten Nutzergruppe überhaupt. Sie machen mittlerweile 31 Prozent aller Nutzer aus, Tendenz steigend, vor allem junge Erwachsene und «speziell junge Frauen» sind hier häufig vertreten; sie nutzen, heisst es im Jahrbuch, Informationsmedien weit unterdurchschnittlich, und wenn, dann greifen sie «auf Pendlerzeitungen oder kostenlose Onlineangebote und News via Social Media zurück». Das heisst so viel wie – dass die traditionellen, klassischen Medien ihre Rolle zunehmend verlieren, nämlich als Medium zu funktionieren, «mediare», dazwischen zu sein, zwischen den Mächtigen und dem Publikum, zwischen den Phänomenen und den LeserInnen, vermittelnd, erklärend, informierend. Ein Teil des Publikums ist verlorengegangen, ein Drittel – und die Frage stellt sich, was das bedeutet für unser Thema, für die diversifizierende und die segregierende Rolle von Medien, für den Rassismus.

Zwei Gedanken:

  • Wir haben, und wir tun das ja auch an diesem Abend, hier, in dieser Diskussion, die «Medien» im Fokus, und wir reden implizit stets von dem, was wir als «Medium» uns vorstellen: Zeitung, Fernsehen, Internetplattformen. Aber wir müssen, und das ist eine medienpolitische Frage, den Begriff des Mediums, erweitern und dringend auch Soziale Medien, und damit meine ich alle soziale Medien, dem selben Begriff der Verantwortung, den Geboten von Diversität, Respekt und Anerkennung unterstellen, wie die traditionellen, also: redaktionell betreuten Medien. Das «digitale Ich», dieser Avatar, dieses «andere» von uns, das in den Netzen unterwegs ist, und das manche Dinge sagen lässt, die es im realen Leben nicht sagen würde – dieses «andere» muss in die Verantwortung genommen werden. Wie das VILÉM FLUSSER bereits 1991 schrieb - «Es genügt nicht, wenn wir einsehen, dass unser „Selbst“ ein Knotenpunkt einander kreuzender Virtualitäten ist, ein im Meer des Unbewussten schwimmender Eisberg oder ein über Nervensynapsen springendes Komputieren, wir müssen auch danach handeln». Einen allerersten Anfang haben wir dieses Jahr gesehen, als Facebook und Google und Twitter sich dahingehend erklärten, man wolle den Fake News zu Leibe rücken; aber wir sind noch weit davon entfernt, dass jener Raum, in dem sich die 31 Prozent der «Newsdeprivierten» aufhalten, einem Kodex unterliegen würde, der diskriminierende Äusserungen sanktioniert – beginnend bei den Kommentarfunktionen, die sich heute als ein Tummelfeld von abschätzigen, im Grenzbereich des Rassismus befindlichen Äusserungen präsentieren. Hier hat die deutsche Ausgabe der Huffington Post einen ersten Schritt getan, indem sie anonyme Kommentare verbot; und auf der englischsprachigen Website heisst es ausdrücklich in der «Comment Policy»: «If your comments consistently or intentionally make this communitiy a less civil and enjoyable place to be, you and your comments will be excluded from it».
  • Zweitens muss es darum gehen, gerade und vor allem auch in den Sozialen Medien den weitherum diskreditierten Begriff der «Poltischen Korrektheit» als eine Errungenschaft qualifizierter, zivilisierter, demokratischer Form des Redens in der Öffentlichkeit wieder hochzuhalten. Es kann nicht angehen, dass wir den Raum, in dem sich die «Newsdeprivierten» bewegen, nicht genau so zu einem Ort der geregelten, der zivilisierten Rede machen, ihn nicht genau so streng beurteilen, wie die traditionellen Medien. Gerade jener Raum der Sozialen Medien, der nur allzu oft genutzt wird zum Verfassen jedwelcher ressentimentsgeladenen Posts, muss dringend wieder zum Ort des Anstands gemacht werden; und damit auch zu einem Raum, in dem eine Integration in einen demokratischen Diskurs gelernt werden kann.

 

NICHT NUR RASSISMUS

Damit ist es auch gesagt:
Es geht hier nicht nur um Rassismus.

Denn erstens – gibt es den kruden Rassismus in dieser Form in unseren Medien nicht, und wenn, dann wird er sanktioniert.

      Aber zweitens ist der Begriff des Rassismus – zumindest nach schweizerischer Auslegung – eng gefasst. Die Gesetzgebung schützt rassische, ethnische und religiöse Gruppen vor Herabsetzung und Diskriminierung; aber, und darauf hat TAREK NAGUIB in einer seinen Studien hingewiesen, gerade dieser Schutzcharakter, die Frage, was unter Öffentlichkeit zu verstehen sei, inwiefern unter der Rassismusstrafnorm überhaupt noch eine Debatte zur Rasse, Religion, Ethnie möglich sei – all das hat dazu geführt, dass der Schutzcharakter der Norm in der öffentlichen Wahrnehmung unter steter Kritik stand. Und die enge Fassung der Norm hat unter anderem dazu geführt, dass «Ausländer» oder «Asylbewerber» oder auch «Libanesen» oder «Franzosen» durchaus öffentlich diskriminiert werden können, straflos.

      Diesen Umstand haben sich insbesondere jene zunutze gemacht, die mit einer Politik der Ressentiments, des Hasses gegenüber nicht hier geborenen, nicht autochtonen, zugewanderten Menschen einen neuen, radikalen Nationalismus propagieren. Sie nutzen die Unschärfe und auch die Grenzbereiche der Rassismusnorm gezielt, und sie lernen ganz gezielt, wie ich in einer Recherche unlängst nachweisen konnte (KONTEXT vom XX), diskriminierendes Reden und Schreiben, ohne dass die Antirassismusstrafnorm tangiert würde.

      Diese Art der diskriminierenden Rede hat sich nicht nur in der Schweiz, sondern auch in anderen Teilen Europas durchgesetzt; sie ist weitherum akzeptiert, sie ist nicht strafbar, aber zutiefst verletzend, und auch: zersetzend. Sie erlaubt die Darstellung verhüllter Frauen in Abstimmungskampagnen ebenso wie die pauschalisierende Verurteilung von «Scheinasylanten» - und sie findet Eingang in alle Medien, soziale, traditionelle, auch Qualitätsmedien, mit den Folgen, die wir kennen: Stigmatisierung, Kategorisierung, Ausgrenzung, Diskriminierung.

      Deshalb sollten wir uns in der Diskussion um die Rolle der Medien nicht mehr auf die Kategorisierungen von «Rassismus» beschränken, sondern, wie das der Forschungsbereich Öffentlichkeit fög der Universität Zürich tut, in Kategorien von «Typisierungen» und von «segmentären Differenzsemantiken». Typisierungen, schreibt der fög in einer seiner Studien, lassen sich definieren als «Zuschreibungen von Eigenschaftsmerkmalen gegenüber Personen, Gruppen oder Kollektiven, die eine wertende Komponente und eine Verallgemeinerung beinhalten», während segmentäre Differenzsemantiken verstanden werden als «Typisierungen, die die Eigengruppe von der Fremdgruppe mit systematisch verschiedenen Zuschreibungen unterscheidet», oder kurz gesagt: Differenzsemantiken dienen den Mächtigen zur Konstruktion von Zugehörigkeit.

Diese Machtmechanismen in den «Medien» zu erkennen und zu benennen, darum geht es; und es geht darum, genau hinzuschauen. Nicht erst, wenn das Wort «Neger» auftaucht, sondern schon, wenn es heisst «Nadine Farhoud gilt in ihrer Gemeinschaft als gut integriert».

 

WERTE UND STRUKTUREN

Es ist ja nicht so, dass es in den jeweiligen Medienhäusern kein Bewusstsein gäbe über diese Fragen. Nur ist dieses Bewusstsein etwas rudimentär.

Schauen wir kurz auf ein paar normative Vorstellungen zum Thema, am Beispiel der SRG

      In den Leitlinien der SRG zur journalistischen Praxis heisst es etwa, « Informationsmedien spielen in der Demokratie eine Schlüsselrolle. Sie ermöglichen den Bürgerinnen und Bürgern, sich eine Meinung zu bilden, gesellschaftliche Verhältnisse und Vorgänge zu beurteilen und diese im demokratischen Prozess mitzugestalten» und weiter «Unsere Aufgabe ist es, den Diskurs über alle gesellschaftlich relevanten Sachverhalte zu fördern und die öffentliche Debatte zu beleben» und weiter «Vielfältig sind Programme, wenn sie Tatsachen und Meinungen zu einem Thema in ganzer Breite angemessen zum Ausdruck bringen» und weiter «Unabhängig ist unser Programmangebot, wenn die Redaktionen keine Ideologie, keine Partei oder sonstige Interessengruppe bevorzugen. Wir halten kritische Distanz zu allen Gruppierungen des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens».

      Aus alledem lässt sich noch kein explizites Bekenntnis zur Diversität, zur Pluralität, zur Differenz herauslesen. Aber diese Grundsätze können, weil wir ein Medium des Service Public sind, eingefordert werden; als eine normative Grundlage, die sich tatsächlich in den Programmen niederschlagen soll. Und sie bietet Handhabe für eine öffentliche Diskussion über Programme, Inhalte, Diskurse – eine Diskussion, die, wie ich meine, durchaus auch öffentlich und intensiv geführt werden muss.

      Und zwar:

  • Indem jene, die es angeht, nämlich die «anderen», die in den Medien immer wieder dem «Othering», dem Ausschluss ausgesetzt sind, ihren Platz einfordern in den Gremien, die sich mit der Qualität der Berichterstattung bei SRF auseinandersetzen, also im Publikumsrat, in den regionalen Genossenschaften. Und auch, indem sie ihren Platz einfordern – das nur als Zusatz – an Orten wie dem Presserat, den Schulleitungen der Journalistenschulen.
  • Indem jene, die es angeht, eine Beobachtungsstelle einrichten, eine, die regelmässig, qualifiziert, kompetent die Medien in der Schweiz beobachtet (nicht nur SRF), eine Art Medienobservatorium, das die Berichterstattung analysiert.

 

KONKLUSION CONSTRUCTIVE JOURNALISM

Wie also sollen Geschichten erzählt werden?

Mit einem anderen Blick, mit einem Blick auf die Differenz, auf die Unterschiedlichkeit der Lebenszusammenhänge, der Diskurse, der Wirklichkeiten, in denen Menschen in diesem Land, in diesem Kontinent, in dieser Welt leben. Geschichten ohne Verkürzungen, ohne Stereotype, dafür Geschichten, bei denen genau hingeschaut wird: wer was warum tut.

Dafür braucht es

  • Erstens auch Arbeit im Kleinen. In meiner Redaktion wird jedes Thema, bevor es in der Redaktionssitzung diskutiert wird, in einer Eingabenskizze umfassend formuliert. Fragen wie «Warum ist das Thema relevant» oder «Welche Elemente hat die Sendung» müssen ebenso beantwortet werden wie die Frage «Was soll mit dieser Sendung bei den HörerInnen bewirkt werden». Neu habe ich, nach entsprechender Vorbereitung in einem Workshop, die Rubrik «Diversität» eingeführt – mit der Folge: dass bei jedem Thema die Frage nach «Gender, Race, Class, Age» beantwortet werden muss, sowohl was die Protagonisten der Sendung angeht, wie auch, was die MacherInnen betrifft. Sendungen, in denen nur noch weisse, alte Männer vorkommen, soll es nicht mehr geben, und auch nicht mehr solche, in denen nur noch «Bioschweizer» sprechen. Diese kleine Checkliste hat schon zu einigen Veränderungen geführt – und sie kann in jeder Redaktion eingesetzt werden.
  • Zweitens braucht es andere Geschichten, gerade, was unser Thema hier angeht. Der dänische Journalist ULRIK HAAGERUP ist nicht der einzige, der für einen Paradigmenwechsel im Journalismus plädiert und sich einsetzt für «Constructive News», oder auch für einen «positiven Journalismus». Würden sich Medien die Aufgabe stellen, auch nur einen Drittel ihrer News für «positive Meldungen» zu reservieren, was für überraschende Geschichten können wir da hören, lesen, sehen? Die Geschichte von meinem Freund Mohomodou Houssouba, beispielsweise, der aus Mali stammt und seit Jahren daran arbeitet, ein digitales Wörterbuch seiner Muttersprache Songhay zu erarbeiten. Die Geschichte der südafrikanisch-deutsch-guineischen Kuratorin Kadiatou Diallo, die gerade eben mit einer provokativen Ausstellung und Performances zum Thema Differenz in Basel für Aufsehen sorgte. Oder eben – die Geschichte von XY, jener Frau, die sich erfolgreich für das Tragen des Kopftuchs wehrte, nicht darstellen als eine Opfergeschichte, sondern als den Erfolg einer mutigen, kämpferischen Frau. Das ist dann ein anderes «Framing», das Setzen anderer Deutungsmuster, die sich, davon bin ich überzeugt, über die Zeit hinweg durchsetzen werden.

Ich danke Ihnen
ck. 17.01.2017

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