Mobutu lebt
Zwölf Jahre nach seinem Tod lebt der zaïrische Diktator Mobutu Sese Seko immer noch. Seine Kinder, seine Ehefrau, seine Cousins und Cousinen führen sein Werk weiter, mit undurchsichtigen Geschäften, mit einer weit verzweigten Klientelwirtschaft. Auch die Schweizer Behörden müssen sich dieser Tatsache stellen.
Von Christoph Keller
Maître Enrico Monfrini ist ein Genussmensch, und er ist ein Mann mit Prinzipien.
Der Rechtsanwalt mit gediegener Praxis an der Place du Molârd in Genf zündet sich fürs Gespräch eine Zigarre an, konzentriert sich. Nichts lässt er im Ungefähren stehen, nimmt in Anspruch, in dieser Sache das letzte Wort zu haben, mit gutem Grund. Denn kaum ein gestürzter Despot, der sich nicht in Maître Monfrinis Aktenverzeichnis befindet – er hat dafür gesorgt, dass die nigerianische Regierung das Geld des Despoten Sani Abacha zurückerhielt, er vertritt die Republik Haiti gegen die Familie des Despoten François Duvalier. Kein anderer hat in den letzten zwanzig Jahren so viele Fälle von Potentatengeldern behandelt wie Enrico Monfrini, und kein anderer hat so tiefen Einblick gekriegt ins Innenleben nigerianischer oder haitianischer Kleptokraten. Niemand weiss besser, wie Despotenclans staatliches Geld ab-zweigen und über Umwege auf den Bankenplätzen dieser Welt parkieren.
So fällt es ins Gewicht, wenn Maître Monfrini sagt, «die Nachkommen des verstorbenen Mobutu Sese Seko bilden eine kriminelle Vereinigung im Sinne des Strafrechts». Maître Monfrini, seit vergan-genem Herbst mit der Wahrung der Interessen der Demokratischen Republik Congo gegen die Familie Mobutu beauftragt, doppelt nach und sagt, er wundere sich, «warum die Schweizer Strafverfolgungs-behörden den notorischen Umstand noch nicht zur Kenntnis genom-men haben, dass der zaïrische Diktator Mobutu Sese Seko zwar tot ist, dass aber das System des Mobutismus nach wie vor besteht.»
Keine besondere Regung in seiner Stimme, wenn Enrico Monfri-ni sagt, er versuche noch immer zu verstehen, warum die Bundesanwaltschaft seine Strafklage gegen den Mobutu-Clan abgewiesen habe mit dieser lapidaren Begründung, «die vermeintliche Organisation Mobutu» existiere «seit über zehn Jahren nicht mehr». Mit dem selt-samen Argument, diese Organisation, so die Bundesanwaltschaft, sei mit dem Sturz des Regimes «zersplittert und nicht mehr in der Lage, ihr Ziel zu erreichen.»
Enrico Monfrini nimmt einen Zug von seiner Zigarre und sagt ganz ruhig:
«Das ist skandalös».
Niemand weiss, wie viele Koffer voller Geld Mobutu Sese Seko an jenem 17. Mai 1997, dem Tag seiner Flucht aus dem Land, das er in «Zaïre; umtaufte mit sich führte. Bis heute wird darüber spekuliert, wie viele Millionen Mobutu tatsächlich angehäuft hat, ob es 14 Milli-arden Dollar waren oder doch nur 4 Milliarden.
Man weiss nur, dass an Bord der altersschwachen Antonow, die an jenem Tag von Kinshasa aus Kurs nach Marokko nahm, alle Fami-lienmitglieder und Vertrauten sassen, die vor den anrückenden Rebel-len von Laurent Kabila noch den Weg zum Flughafen geschafft hatten. Mobutus zweite Frau Bobi Ladawa Mobutu, seine Söhne Manda, Ze-manga und Nzanga, seine Töchter auch, darunter Yaki, die er beson-ders mochte – alle, ausser Kongulu Mobutu, des Leoparden jüngster Sohn, wegen seiner besonderen Brutalität auch «Saddam Hussein» genannt. Als Führer der Palastwache war er in Kinshasa zurückge-blieben, um seinen Vater zu rächen, entlang einer Liste von fünfhundert Personen, darunter befand sich auch der Name von General Ma-hele Lioko, der in letzter Minute noch auf eine Verständigung mit den Rebellen von Laurent Kabila hingearbeitet hatte. Er wurde mit einem Kopfschuss getötet.
Die Familie hatte vorgesorgt.
Längst waren Dollars in Millionenhöhe auf ausländische Konten transferiert worden, Gelder, die man über die Jahre aus den Erträgen des staatseigenen Minenkonzerns Gécamines abgezweigt hatte, die man aus der Kasse der Diamantunternehmung MIBA gestohlen hatte, aus der Staatskasse geholt, aus dem Waffenhandel mit der Unita her-ausgeholt, aus dem Handel mit Gold und Coltan. Vorsorglich hatte die Familie eine Firma in der Schweiz gegründet, die YOSHAD in Martigny, geführt von Kongulu Mobutu persönlich, dem «Saddam», und es gab viele Konten, auf vielen Banken. Auch die Villa in Savigny, einst von Bundesrat Pierre Graber persönlich vermittelt, dazu kamen eine luxuriöse Wohnung in Brüssel, Liegenschaften in Paris. Nur Tage nach Mobutus Flucht vor den Rebellen Laurent Kabilas, wurden Goldbarren im Wert von neunzig Millionen Dollar über die Grenze nach Südafrika gebracht, vermutlich mit logistischer Unterstützung von Kongulu Mobutu höchtspersönlich.
In Südafrika, vor allem in Kapstadt und Umgebung, liess sich ein Teil der Entourage von Mobutu ihre Position nieder, sie kauften Ho-tels, Liegenschaften. Die meisten aber streckten ihre Fühler nach Bel-gien aus, wo die Familie bis heute über sehr gute Beziehungen ver-fügt. Kongulu Mobutu, nach einer Flucht aus Kinshasa in letzter Mi-nute, nahm die Fäden der familieneigenen Holding JFPI Holding wie-der an die Hand, ein undurchsichtiges Konglomerat, nach eigener Darstellung «die grösste Holding auf dem afrikanischen Kontinent» – die JFPI operiert bis heute in allen Ländern Afrikas, unter anderem auch bei der «technischen und militärischen Unterstützung schwä-chelnder Regierungen».
Das System Mobutu begann zu arbeiten, und es war bereits in Gang gesetzt, als der Leopard starb, am 7. September 1997 im marok-kanischen Exil.
Manda Mobutu, der älteste Sohn Mobutus, hervorgegangen aus seiner ersten Ehe mit Marie-Antoinette Gbiatene, übernahm die Ver-antwortung für die Geschicke des Clans. Manda, der über Erfahrung verfügte, wenn es um heikle Geschäfte ging – er war seit den achtziger Jahren im illegalen Diamantengeschäft tätig gewesen, handelte mit Kobalt und Elfenbein, liess seine Konkurrenten notfalls durch die Prä-sidentenwache seines Bruders Kongulu terrorisieren. Manda Mobutu war es, der die angolanische UNITA mit Waffen versorgte, er lieferte Waffen nach Ruanda, alles mit der stillen Unterstützung von Jean-Christophe Mitterrand, Sohn des franzöisischen Präsidenten François Mitterrand – Manda Mobutu, der in den ersten Monaten nach dem Tod seines Vaters nur ein Ziel kannte: das Vermögen der Familie zu-sammenzuhalten, die Immobilien in Belgien, in der Schweiz, in Süd-afrika, Kontoeinlagen in nach wie vor unbekannter Höhe, viel Gold, viele Koffer voller Dollars, denn Mobutu Sese Séko hatte es geliebt, horrende Hotelrechnungen, gecharterte Flugzeuge, luxuriöe Uhren immer gleich bar zu bezahlen. Er war es vermutlich, Manda Mobutu, dem ich vor zehn Jahren unverhofft begegnete, als ich vor einer Mili-tärkaserne in Niamey, der Hauptstadt Nigers, auf ein Interview mit Putschgeneral Daouda Mallam Wanké wartete – die Wachen winkten ihn einfach durch, und auf meine Frage, warum, sagten sie lapidar, «das ist Herr Mobutu, verstehen Sie?»
Manda, mit der ganzen Klientel, bestehend aus den Familienmit-gliedern, den vielen Günstlingen im Rücken, er wird versuchen, die rund 7 Millionen Dollar, die in der Schweiz arrestiert wurden, bloc-kiert auf verschiedenen Konten, freizukriegen. Er wird, stellvertretend für den Clan, in den Eingaben seines Anwalts stets auf den Punkt hinweisen, der tatsächlich ein Pferdefuss in der ganzen Affaire ist:
Der Bundesrat hat zwar im Dezember 1997 ein Rechtshilfegesuch der neuen Regierung in Kinshasa entgegengenommen, aber es war mangelhaft. Die kongolesische Regierung hat dieses Gesuch nie nach-besserte, trotz mehrfachen Aufforderungen des EDA, und so konnte im Fall Mobutu das Rechtshilfeverfahren gar nie in Gang kommen, im Gegensatz zum Fall des nigerianischen Dikators Abacha. Im guten Glauben, irgendwann würden sich die kongolesischen Behörden schon noch bewegen, hatte man es in der Schweiz (im Gegensatz zu Belgien) versäumt, gegen die ganze Familie Mobutu ein Verfahren wegen Geldwäscherei und wegen Aufbau einer kriminellen Vereini-gung zu eröffnen – ein unverständliches Versäumnis. Denn immerhin hatte das Bundesgericht bereits in einem Entscheid vom August 1997 festgestellt, die Versiegelung von Mobutus Villa sei rechtens, denn sie stehe in Zusammenhang mit einem Strafverfahren wegen «Diebstahls, Veruntreuung, Hehlerei und anderer Delikte» – ein klarer Hinweis darauf, dass die kriminelle Herkunft der Gelder längst gerichtlich an-erkannt war.
Enrico Monfrini, mit seiner tiefen, rauhen Stimme:
«Die Geschichte ist vielleicht lange her, und man wird sagen, was für ein Aufhebens um die paar Millionen, die noch auf den Schweizer Konten liegen. Aber wissen Sie – meine Motivation, in die-sem Fall nicht locker zu lassen, kommt daher, dass es mir zutiefst wi-derstrebt, Geld, an dem das Blut einer Diktatur klebt und die kriminel-len Machenschaften eines ganzen Clans, diesem Clan wieder zurück-zugehen.»
«Eine moralische Haltung...»
«Mag sein! Aber auch eine Haltung der Gerechtigkeit, denn ich liebe die Gerechtigkeit, ja – und ich ärgere mich, wenn ich mir jetzt, zwölf Jahre danach, immer noch vor Augen führen muss, wie wenig die Schweizer Strafbehörden getan haben, um der Familie das Hand-werk zu legen.»
Allerdings hat die Familie Mobutu systematisch darauf hingearbei-tet, dass die kongolesische Regierung über Jahre hinweg untätig blieb und der Forderung des EDA und des Bundesrats, endlich ein nachge-bessertes, brauchbares Rechtshilfegesuch einzureichen, nicht nach-kam. Mit einem aufwendigen strategischen Machtspiel, bei dem es ums Geld ging, um politischen Einfluss, und ums frühe Sterben.
Im Zentrum der Aktivitäten stand und steht Bobi Ladawa Mobu-tu, die zweite Frau Mobutu Sese Sékos, eine Dame von Welt, wohn-haft in einem der besten Quartiere in Brüssel. Bobi Ladawa Mobutu, die mit ihrem ältesten Sohn Nzanga im Oktober 1988 eine Stiftung gründete, die «Mobutu Family Foundation», mit dem ausgesprochen vagen Zweck «jungen Männern und Frauen in Afrika zu helfen, ihre Ziele zu erreichen». Die Stiftung trat mit einer einzigen Ausnahme nie an die Öffentlichkeit, wird nie genannt, wenn es um die Förderung von «jungen Männern und Frauen in Afrika geht», und so liegt die Vermutung nahe, dass die Familienstiftung bald zu einer Plattform für die Zirkulation des Geldes wurde, innerhalb und ausserhalb des Clans.
Nur – alle waren nicht mit gemeint, denn ein Sterben hatte ein-gesetzt.
Nach und nach kam es dazu, dass alle Söhne aus Mobutus erster Ehe mit Marie-Antoinette dahinstarben, alle sehr früh. Manche, so hiess es in verklausurierten Nachrufen, wegen HIV-Aids, andere star-ben offiziell «aus unbekannter Ursache». Dahingerafft wurde noch vor dem vierzigsten Lebensjahr Nyiwa Mobutu, der älteste Sohn Marie-Antoinettes; dann hatte es Kongulu Mobutu erwischt, den unwir-schen, gefährlichen Haudegen, noch nicht dreissigjährig, 1998 in Mo-naco. Blieb noch Manda Mobutu, der Patron des Clans, der von Paris aus seinem Geschäft, dem Waffenhandel und dem Handel mit Dia-manten treu geblieben war, laut gut informierten Quellen mit weitläu-figen Geschäftsbeziehungen nach Polen, nach Macao, nach Südafrika – er war der erste der Familie, der seine Rückkehr in die Demokratische Republik Kongo, dem ehemaligen Zaïre ankündigte. Im November 2003 traf er in Kinshasa ein, wurde empfangen von Anhängern, die Tshirts mit dem Abbild Mobutu Sese Sekos trugen – gegenüber Jour-nalisten liess Manda Mobutu nebulös ausrichten, er wolle in seiner Heimat die «alten Verbindungen wieder aufleben lassen und dann schauen, was sich ergibt» (auch eine Art zu sagen, dass er beabsichti-ge, seinen Vater politisch zu beerben).
Dazu aber kam es nicht, ein Jahr später starb Manda Mobutu in Paris.
Damit war der Weg frei für einen anderen aus dem Clan, der ebenfalls seine Ansprüche angemeldet hatte, der sich auch im Kongo positionieren wollte: Nzanga Mobutu, Bobi Ladawas Ältester, ehema-liger Chefberater seines Vaters.
Nzanga Mobutu hatte sich sehr gut positioniert, in mehrfacher Hinsicht. Sein Vorsitz in der Familienstiftung war sicher ein Plus, da-zu kam seine Heirat mit einer Tochter des Milliardärs Jeannot Bemba Saolona, einem alten Vertrauten seines Vaters. Jean Pierre Bemba, sein Sohn und der Schwager von Nzanga Mobutu, hatte sich 1998 an die Spitze einer Rebellion im Osten des Landes gestellt – er liess in die-sem Bürgerkrieg morden, vergewaltigen, massakrieren, fand sich aber, als Nzanga Mobutu 2003 in Kinshasa eintraf, bei den Friedensver-handlungen als respektabler Partner am runden Tisch wieder. Es war Jean-Pierre Bemba, der Mobutus luxuriöse Villa in Gbadolite über-nommen hatte, er war es, der Nzanga Mobutu den Weg zu einer ful-minanten politischen Karriere eröffnete, denn da waren noch viele andere, im Kongo, bereit, sich für den «Mobutismus» einzusetzen.
Immer mehr «Mobutistes» seien in Kinshasa anzutreffen, hiess es in kongolesischen Zeitungen, sie seien jetzt «überall», schrieben sie. Nzanga Mobutu, der gerne mit einem Tshirt posiert, auf dem Vater Mobutu abgebildet ist, darunter der Spruch «Wir werden dich nie vergessen», stellte die «Union democrates Mobutistes» auf die Beine, bestritt die Präsidentschaftswahl von 2006, wurde Agrarminister und ist heute Vizepremier im Kabinett von Alphonse Muzito.
Damit war das System Mobutu wiederhergestellt, eine Form des «crony capitalism», einer lang schon bestehenden kongolesischen Günstlingswirtschaft, bei der Loyalität erkauft wird mit den Einkünf-ten aus kongolesischen Diamanten, Landwirtschaftsprodukten, der Ausfuhr von Coltan und Gold.
Nzanga Mobutu, immer mit Golduhr, goldigem Ring, goldigem Armreif, setzte sich zum Ziel, die konfiszierten Liegenschaften der Mobutus wieder in die Hand zu kriegen. Briefwechsel und Gerichts-urkunden belegen, dass er sich nicht zu schade ist, alte Gegner seines Vaters vor Gericht zu ziehen, um frühere Rechnungen zu begleichen, und seine Popularität steigt. Dass sein Schwager Jean-Pierre Bemba wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Verhaftung ausge-schrieben wird, 2008 in Belgien verhaftet wurde, seither auf seinen Prozess vor dem Internationalen Stafgerichtshof wartet – das alles scheint seiner Popularität nicht geschadet zu haben. Und so konnte Nzanga Mobutu als Vizepremier problemlos auf ein weiteres Ziel hin-arbeiten, nämlich verhindern, dass die kongolesische Regierung end-lich ein ordentliches Rechtshilfegesuch stellt, verhindern, dass sie den dringenden Appellen von Aussenministerin Micheline Calmy-Rey stattgibt, verhindern, dass sie handelt, bevor die Fristen abgelaufen sind, alle hinhalten, bis die verbleibenden sieben Millionen endlich in die Taschen der Mobutus zurückfliessen können.
Aber Nzanga Mobutu hatte nicht mit diesem Mann gerechnet, mit Max Mader, dem Leiter der «Aktion Finanzplatz Dritte Welt» mit Sitz in Basel.
Max Mader, heller, aufmerksamer Blick unter einer frechen Sträne über der Stirn, erzählte mir zwischen Kartonschachteln, überquellen-den Büchergestellen und alten Archivschachteln von seiner Reise in den Kongo, im Dezember 2008.
Er berichtete von seinem Ziel, gemeinsam mit kongolesischen Nichtregierungsorganisationen in kurzer Zeit so viel Druck auf die Regierung in Kinshasa auszuüben, dass diese endlich konkrete Schrit-te unternimmt, damit die Millionen Mobutus dem kongolesischen Staat zugeführt werden konnten. Max Mader zimmerte innert Tagen eine Koalition von NGOs, band den Schweizer Botschafter in Kinsha-sa, Linus von Castelmur, in seine Strategie ein und erreichte, dass die NGOs und die «Aktion Finanzplatz» mit einem gemeinsamen Presse-communiqué an die Öffentlichkeit trat. Lokale Vertreter der Weltbank, ihrerseits, verhielten sich gegenüber dem Aktivisten aus der Schweiz reserviert, setzten aber im Hintergrund umso mächtiger Druck auf, während die kongolesischen Medien breit berichteten.
So schaffte Max Mader, was das EDA trotz beherztem Einsatz der Aussenministerin und des Chefs der Abteilung Völkerrecht, Va-lentin Zellweger, in all den Jahren nicht gelungen war. Noch vor der geplanten Kundgebung vor dem Amtssitz von Nzanga Mobutu er-reichte Max Mader die gute Nachricht, dass eine kongolesische Dele-gation unterwegs sei in die Schweiz, um Maître Enrico Monfrini mit der Wahrnehmung der Interessen der Republik Kongo zu beauftra-gen.
Nzanga Mobutu hatte nachgegeben, eine für alle einigermassen überraschende Wendung.
Max Mader erklärt sie damit, dass «Nzanga Mobutu vermutlich in den Handel eingewilligt hat, um die Koalitionsregierung im Kongo nicht zu gefährden», und damit, natürlich, seine eigene Position. Mag sein, fügt Max Mader an, dass Nzanga die ganze Zeit über auch weni-ger seine eigenen Interessen im Auge hatte, sondern viel unter dem Druck seiner Familie gestanden war.
Von Yaki Mobutu, zum Beispiel, die nach einer kurzen Ehe mit einem belgischen Geschäftsmann auf sich alleine gestellt war, genau so wie von Mobutus Sese Sékos früherem Premierminister, Kengo wa Dondo, der gemeinsam mit dem früheren Gouverneur der National-bank, einem Mann mit dem klingenden Namen Pay Pay, in Belgien der Geldwäscherei angeklagt waren. Dann war da Zemanga Mobutu, ein Neffe des Diktators, der mit dem Bruder Jean-Pierre Bembas, Jacques Bemba Pollet, in eine Betrugsaffaire verwickelt war. Die bei-den hatten gegenüber möglichen Geldgebern vorgegaukelt, im Besitz verschmutzter Dollarscheine zu sein, die sich aber reinigen liessen, wenn man nur eine «Geldwaschmaschine» anschaffte – immerhin 5 Millionen Euro hatten sie auf diese Weise ergattert, die belgische Ju-stiz stellte sie unter Anklage.
Da war auch Bobi Ladawa selber, die im marokkanischen Rabat ihre baldige Rückkehr in die Demokratische Republik Kongo ankün-digte, eine Heimkehr, die sie unmöglich mit leeren Händen antreten wollte; und wie konnte sie sicher sein, dass in der Schweiz nicht plötz-lich weitere Gläubiger auf den Plan treten, um alte Forderungen ge-genüber den Mobutus geltend zu machen, so wie es der Schweizer Geschäftsmann und Photograph, der ehemalige Vorsitzende der zaï-risch-schweizerischen Handelskammer, Martin Hoffmann, getan hat-te. Martin Hoffmann, der bis vor Bundesgericht gegangen war, um geltend zu machen, die Familie Mobutu schulde ihm für verschiedene Dienstleistungen (unter anderem für 25'000 Portraitaufnahmen von Mobutu Sese Séko) drei Millionen Franken – zweieinhalb Millionen liess das Bundesgericht schliesslich gelten.
Und da waren auch die vielen anderen Mitglieder des weit ver-zweigten Clans, die wegen Drogendelikten angeklagt waren, wegen Verstössen gegen die Einwanderungsbestimmungen, andere ver-brachten ihre Tage damit, betrügerische Mails herumzuschicken mit grossartigen Geldversprechungen für den Fall, dass es gelingen wür-de, sehr viele Millionen Dollar von einem Konto auf ein anderes zu transferieren.
Enrico Monfrini reichte am 23. Januar 2009 zuhanden von Bundes-anwalt Erwin Beyeler eine über hundert Seiten umfassende Strafan-zeige gegen die Familie Mobutu ein und verlangte die Eröffnung eines ordentlichen Strafverfahrens, die Konfiskation aller Guthaben der Mobutus in der Schweiz; die Demokratische Republik Kongo soll als Zivilpartei anerkannt werden, und die eingezogenen Gelder seien dem kongolesischen Staat zurückzuerstatten.
Ich fragte ihn:
«Wie schlüssig liess sich der Beweis erbringen, dass die Familie Mobutu nach wie vor in unsauberen Geschäften tätig ist?»
«Diesen Nachweis zu erbringen, ist Aufgabe der Bundesanwalt-schaft, nicht wahr – wir können nur die Anhaltspunkte liefern, und die gehen eindeutig in die Richtung, dass die kriminelle Organisation Mobutu nach wie vor existiert und auch funktioniert.»
«Es braucht also eine Untersuchung.»
«Genau – der endgültige Nachweis der Transaktionen dieses Clans ist nur zu erbringen, wenn man Zugang hat zu den Unterlagen, zu den Konten, den Transaktionen, denn die Familie Mobutu ist sehr diskret, das liegt nicht einfach so auf der Hand. Damit man die Bewei-se in Händen hält, braucht es aber ein ordentliches, umfassendes Strafverfahren, und genau das verlangen wir.»
«Wer in der Schweiz fürchtet sich vor einem solchen Verfahren?»
«Nun ja, was die Herrschaft von Mobutu Sese Seko selber an-geht, als all das illegale Geld, das noch immer im Verkehr ist, generiert wurde, mit Raub am Volksvermögen, mit Erpressung, Diebstahl – da kann ich nur sagen, dass das Interesse an einer Offenlegung bei eini-gen Leuten in der Schweiz nicht sehr gross ist. Denn die Schweiz hat ja, genau wie andere Länder auch, dem Diktator aus Kinshasa lange, allzu lange den roten Teppich ausgerollt. Was die neuere Zeit angeht, da können wir uns vielleicht auf ein paar Überraschungen gefasst ma-chen.»
Doch die Bundesanwaltschaft sah keinen Anlass, den Fall Mobu-tu endlich in einem ordentlichen Verfahren aufzurollen, liess ihren Entscheid mit diesem Satz verkünden, die Organisation Mobutu exi-stiere «nicht mehr».
Am 30. April dieses Jahres, einem Donnerstag, lief die letzte Frist, die der Bundesrat für den Rückbehalt der Gelder Mobutus noch gesetzt hatte, ab. An diesem Donnerstag reiste Madame Bobi Ladawa Mobutu persönlich in die Schweiz, um die Vermögenswerte ihrer Fa-milie endlich entgegenzunehmen. Gut vorstellbar, wie sie, in einer langen, eleganten Robe wie immer, mit Goldschmuck um Hals und Handgelenke, unterwegs war auf der Bahnhofstrasse, vielleicht zur HSBC oder zur Credit Suisse, mit dieser kleinen Vorfreude im Herzen, dass sich ein glückliches Ende für sie und ihre Familie abzeichnete.
Am selben Tag aber wendete sich das Blatt nochmals.
In Bellinzona behandelte die Beschwerdekammer des Bundes-strafgerichts eine Aufsichtsbeschwerde gegen die Bundesanwaltschaft, mit sofortiger Wirkung wurde die Arrestierung der Konten verlän-gert, und Bobi Ladawa musste den Heimweg antreten, unverrichteter Dinge.
Absender der Aufsichtsbeschwerde war Mark Pieth, brillianter Strafrechtler, Professor an der Universität Basel, ein Schnelldenker, langjähriger Experte für Korruptionsbekämpfung bei der OECD, unter anderem Mitbegründer und Präsident des «International Center on Asset Recovery», er wurde 2007 für seine Leistungen mit dem interna-tionalen «Integrity Award» ausgezeichnet.
Mark Pieth sass mir an einem Restauranttisch gegenüber, begleitet von seiner Assistentin, weiteren Mitarbeiterinnen, und zeichnete auf die Rückseite eines Tischsets ein Schema, das so aussah wie das Diagramm der letzten Hoffnung. Alles hänge jetzt davon ab, erläuter-te Mark Pieth mit raschen Strichen auf dem Papier, ob die Beschwer-dekammer des Bundesstrafgerichts sich dazu entschliesst, die Bundesanwaltschaft anzuweisen, den Fall Mobutu «an die Hand zu nehmen» also ein ordentliches Verfahren einzuleiten – falls nicht, sagte Mark Pieth, und sein Bleistift wanderte auf einem langen, geraden Strich ganz nach rechts auf dem Tischset, sei der Fall für immer «verloren».
«Mit welchen Folgen?»
«Mit der Folge zunächst, dass die Familie Mobutu nun endgültig in den Besitz der Gelder kommt. Mit der Folge aber auch, dass die Schweiz ein enormes Imageproblem kriegt und ruchbar wird, der Fa-milie eines der übelsten Diktatoren der letzten Jahrzehnte entgegen-gekommen zu sein ...»
«... und das, nachdem die Schweiz im Fall des nigerianischen Diktators Sani Abacha vorbildlich handelte ...»
«Genau, es wäre ein Rückschritt.»
Vorderhand bleibt das Vermögen Mobutus bis Ende Oktober ar-restiert, der Entscheid des Bundesstrafgerichts wird in den nächsten Wochen erwartet.
Mark Pieth wagt keine Prognose.
Max Mader vermutet, dass man abwarten wird, wie sich die Dinge im Fall des früheren haitianischen Diktators Duvalier entwic-keln.
Enrico Monfrini für seinen Teil sagt, er sei «optimistisch, denn ich bin von Natur aus optimistisch».
Das Magazin 2009/28